1984, das Jahr, von dem George Orwell einst schrieb, es könnte das Jahr des perfekten Polizei- und Überwachungsstaates werden, liegt hinter uns. Es ist (Gott sei Dank) in unserer Welt, besser gesagt in dem Teil der Welt, in dem wir leben, nur wenig von dem eingetreten, was der Schriftsteller prophetisch voraussagte. Wenn wir aber ehrlich sind, müssen wir zugeben, daß unsere Welt auch längst nicht so menschlich ist, wie sie sein könnte.
Für unsere Bruderschaft hatte das Jahr den traditionellen Verlauf. Die Tage des Ernstes und der Freude wechseln so beständig und sicher wie der Jahreszeiten; sie sind in das Leben unserer Gemeinschaft und des Dorfes in fast 60 Jahren eingeprägt worden.
Am 21./22. Januar 1984 wurde der Namenstag der Bruderschaft, das Fest des Hl. Sebastian, gefeiert. Aus diesem Anlaß zeigte sich zum ersten Mal die Bruderschaft unter neuer Führung. In der Jahreshauptversammlung am 8. Januar war der bisherige General Heinrich Weitz als Nachfolger von Johannes Issel zum neuen Brudermeister gewählt worden. Hieraus ergab sich, daß auch ein neuer General ernannt werden mußte. Mit Willi Blomenkamp wurde ein bewährter und erfahrener Schützenbruder in dieses hächste Offiziersamt berufen. Er ist in Serm weit besser unter seinem Spitznamen „Fitti“ bekannt. Aus Altersgründen sind Hermann Bünten und Johann Löv aus dem Generalstab ausgeschieden; für sie wurden Hans Hümbs von der Jägerkompanie und Willi Küpper von der Grenadierkompanie zu Stabsoffizieren ernannt. Das Patronatsfest verlief im nun schon traditionellen Rahmen. Dem Eröffnungsball am Samstag folgte am Sonntag das Schützenfrühstück und zum Ausklang der Frauenkaffee am Nachmittag. Auch wenn der Aufwand und die Kosten für dieses Fest hoch sind, sollte man versuchen, diesen Rahmen beizubehalten, da dieses Winterfest geeignet ist, die Gemeinschaft der Schützenfamilie zu stärken.
Am 28. Januar wurde Carlo Cremers von der Grenadierkompanie zum Prinzen Karneval gekürt; zu seinem Hofmarschall wählte er Johannes Issel von der Jägerkompanie. Beide zählen seit vielen Jahren zu den Aktiven beider Vereine und so war es nicht verwunderlich, daß über ihre Wahl allgemein eine große Freude herrschte. Bei strahlend schönem Wetter war für sie der Karnevalszug der Höhepunkt ihrer närrischen Regentschaft; über 20.000 Menschen drängten sich in den Straßen zusammen und erlebten eine farbenprächtige Narrenschau. Aus unserer Bruderschaft ist die Hubertuskompanie stets mit einem großen und gekonnt gebauten Wagen am Zug beteiligt.
Am 26. Mai begann unser Schützenfest mit einem abendlichen Umzug durch das Dorf, in dem die Totenehrung und der große Zapfenstreich am Ehrenmal auf der Dorfstraße eingeschlossen waren. Gerade in unserer Zeit, in der die allgemeine Hochrüstung in der Welt die Sorge um die Stabilität des Friedens aufkommen läßt, in der die verschiedenen politischen Anschauungen scheinbar unüberbrückbar sind, kommt dieser Gedenkstätte für die Opfer der beiden Weltkriege eine mahnende Aufgabe zu. Das Denkmal sollte stets in würdigem Zustand erhalten werden. Es geht nicht an, daß die Anwohner der umliegenden Häuser den Platz als öffentliches „Hundeklo“ betrachten. Wenn die Stadt Duisburg als Träger und Eigentümer die Pflege eventuell an die Bruderschaft vergeben würde, wäre dies sicher eine sinnvolle Aufgabe der Schützenbrüder.
Am Sonntag, dem 27. Mai, wurden die Schützenbrüder Carlo Cremers, Hans Dornscheidt, Johannes Löv und Hans Paß für ihre 25-jährige Treue zur Bruderschaft geehrt. Am Nachmittag nahmen der scheidende König Hermann Walk und seine Königin sowie der Kronprinz Frank Werners Abschied von ihrem Herrscherjahr. Ein Festzug mit großer Parade und anschließendem Ball waren für sie der Ausklang einer sicher unvergeßlichen Zeit.
Am 28. Mai begann dann nach dem Gottesdienst das Vogelschießen. Wie in jedem Jahr waren die Pfänder recht schnell erbeutet und die Bewerber um die Königswürde traten in den Endkampf. Hans Eck (Jägerkompanie), Ludwig Heesen (Grenadierkompanie) und Franz-Josef Schumacher (Sebastianuskompanie) lieferten sich trotz schlechter Witterung einen zähen Wettstreit. Schließlich tat Ludwig Heesen den glücklichen Schuß, er wurde Schützenkönig für das Jahr 1984/85. Zu seiner Königin wählte er seine Frau Käthe, geb. Schmitz. Den Hofstaat stellten die Ehepaare Hans-Peter und Ursula Benger sowie Heinz und Gerti[1] Klasen.
Wie so oft hatten die Jungschützen ihr Ziel eher erreicht. Johannes Blomenkamp wurde Kronprinz und ernannte Peter Franken und Dietmar Arenz zu seinen Adjutanten.
Sowohl der Kronprinz als auch der König kamen in diesem Jahr also aus uralten Sermer Familien.
Der Kronprinz ist der jüngste Sohn von Lutz Blomenkamp, der mit seiner Familie auf dem „Bürgershof“ einen landwirtschaftlichen Betrieb unterhält. Der Hof gehört zu den ältesten in Serm; er wurde 1784 nach einem Brand neu errichtet, war aber bereits lange Zeit vorher im Besitz der Familie Blomenkamp, die den Beinamen „Bürger“ trägt und ein Stück Sermer Geschichte darstellt.
Auch der neue Schützenkönig ist ein Sermer Urgewächs. Es ist dem Chronisten gelungen, eine alte, handschriftliche Familienchronik, die auf dem „Petershof“ aufbewahrt wird, z.T. zu enträtseln. Danach stammt die Familie Heesen ursprünglich aus Wittlaer-Bockum. Bereits im 16. Jahrhundert (1587) wird dort ein Jakob Heesen als Schützenkönig gemeldet. Im 17. Jahrhundert trägt von zwei Brüdern einer den Vornamen „Ludewig“. Schließlich zum Ende des 18. Jahrhunderts kommt ebenfalls ein Ludwig Heesen durch Heirat nach Serm, wo er dann am 20.10.1838 im Sterberegister der Kirchengemeinde Mündelheim verzeichnet ist.
Bei der Gründung unserer Bruderschaft 1927 war es wieder ein Ludwig Heesen, der Großvater des jetzigen Königs, der als erster Brudermeister den Verein führte. Wegen seines Alters trat er 1933 zurück und wurde zum Ehrenvorsitzenden auf Lebenszeit ernannt.
Die Eltern unseres König, Peter Heesen und Anna geb. Benger sind 1938 als König und Königin in dieser Chronik verzeichnet. Übrigens betrug der Kassenbestand der Bruderschaft 1938 genau 120,02 RM.
Das Schützenfest 1984 wurde also in großer Freude und Freundschaft gefeiert. Nur Petrus scheint den Sermer Schützen nicht mehr wohlgesonnen zu sein. Am Montagmorgen regnete es in Strömen und der Himmel schloß seine Schleusen während des ganzen Tages nicht mehr. An einen Festzug war nicht zu denken und auch die Zahl der auswärtigen Besucher war äußerst gering. Da unsere Bruderschaft über 260 Mitglieder zählt, die am Krönungsball natürlich fast vollzählig teilnahmen, war das Festzelt am Abend trotzdem gut besetzt. Zwar klatschte manchmal der Regen aufs Dach, doch tat das Freude und Frohsinn bis zum frühen Morgen keinen Abbruch.
Am 23. September wurde von einer Freizeitinitiative ein Herbstfest unter der Bezeichnung „Kappesmarkt“ durchgeführt. Auf dem Schulhof waren kleinere Verkaufs- und Trödelstände aufgebaut, in der Schule eine Ausstellung von Gemälden von Amateurkünstlern aus dem Duisburger Süden. Unsere Bruderschaft führte in diesem Rahmen ihr Herbstschießen durch und selbst Karnevalsprinz Carlo Cremers beteiligte sich und trug gegen die deutsche Meisterin im Eiskunstlaufen ein Tischtennisspiel aus. Da der Reinerlös für das geplante Pfarrzentrum bestimmt war, freuten sich alle über das gelungene Fest.
Der Tod hat die Schützenbrüder Johann Angerhausen, Willi Doemen und Peter Hassel aus unserer Bruderschaft abberufen.
Wilfried Koths und Frank Werners schlossen mit ihren Bräuten den Bund fürs Leben.
Eine wahre Flut von Silberhochzeiten brachte das Jahr 1984. Hans Hümbs, Hans Paß, Willi Hassel, Heinrich Funke, Hans Grillemeier, Helmut Remers, Willi Schmitz und Hermann Michels konnten mit ihren Frauen auf 25 Jahre Ehe zurückblicken.
Das Fest der Goldhochzeit war den Schützenbrüdern Josef Lörks, Heinrich Busch und dem Ehrentambourmajor Theo Becker mit ihren Ehefrauen vergönnt.
Über die Grenzen Serms hinaus ist über das Jahr 1984 eigentlich wenig Erfreuliches zu berichten. Die Arbeitslosenzahlen liegen weiter bei über 2 Millionen; die Forderung der Gewerkschaften nach der 35-Stunden-Woche wurde auch mit langen Streiks nicht erreicht und die Berufsaussichten für die junge Generation sind nach wie vor düster.
Die Haltung der beiden Großmächte Sowjetunion und USA in Bezug auf Entspannung und Abrüstung ist von gegenseitigem Mißtrauen geprägt; die Umwelt der Menschen wird durch verschiedene Giftstoffe aufs Schwerste belastet und so erscheinen Frieden und Gesundheit, die wichtigsten Güter des Menschen, auch im Jahr 1984 keinesfalls gesichert.
[1] Lt. Sermer Königsliste ist der Name Gerdi.